Mark Zuckerberg ganz in Schwarz vor beiger Wand mit kleinen Bücherbrettern

Screenshot aus der Präsentation des Metaversums durch Facebook-Chef Zuckerberg (Den Einsatz einer Barbecue-Soße als Buchstütze bitte nicht nachahmen).

Die Facebook Papers zeigen erneut die Schattenseiten der Social Media-Kanäle des Meta-Konzerns, die auch im Non-Profit-Umfeld gerne genutzt werden. Was ist an den aktuellen Vorwürfen dran? Wie sozial schädlich sind die Angebote tatsächlich? Und können wir die Nutzung dieser Kanäle unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit überhaupt noch vertreten?

Worum geht es?

Neu ist ja, dass der Facebook-Konzern jetzt "Meta" heißt. Damit geht die Einführung eines neuen Produkts namens Metaverse einher. Einer digitalen Welt, die einige an "Second Life" erinnern wird. Darum geht es aber hier nicht. Bemerkenswert ist daran allerdings, dass Mark Zuckerberg auf diesem Weg wohl auch die Börsennotierung als "Facebook, Inc." loswerden wollte – eine Marke, die nach diversen Skandalen nicht mehr wirklich cool ist.

Anlass dieses Blogposts ist vielmehr der jüngste Skandal um die Firma: Die von der ehemaligen Facebook-Mitarbeiterin Frances Haugen geleakten Facebook Papers. Wobei "Papers" nicht ganz stimmt. Es geht um eine Ansammlung zehntausender Screenshots von Memos und internen Chats, die sich um unterschiedliche Themen drehen. Und weil die über 10.000 Dateien noch nicht komplett ausgewertet sind, könnten bald noch neue Erkenntnisse dazukommen.

Durch die Medien ging bereits ein konkreter Vorwurf in Bezug auf Instagram: Die Konzernleitung habe eine interne Studie heruntergespielt, in der die schon seit langem befürchtete psychologisch schädliche Wirkung des Social Media Kanals vor allem auf Jugendliche belegt worden sei. Aus meiner Sicher ein gewichtiger Anlass zu prüfen, was da dran ist und zu hinterfragen, ob man Kommunikation über diesen Kanal als Agentur noch guten Gewissens seinen Kunden anbieten kann. 

Was ist an den Vorwürfen dran?

Im Kern wirft Frances Haugen Facebook eine "Profit over People"-Maxime vor. Die Algorithmen seien schädlich. Facebook wisse das, würde aber aus Sorge um Nutzungsintensität, Nutzungszahlen und Profit nichts daran ändern. Ganz so sei das nicht, meint Simon Hurtz, einer der mit der Analyse der Facebook Papers beschäftigten Journalisten bei der Süddeutschen Zeitung in einem Podcast des Deutschlandfunk Kultur.

So habe Facebook mit einer kleinen Kontrollgruppe durchaus geprüft, ob die chronologische Anzeige von Posts weniger spaltend wirke, und das Modell verworfen, weil es nichts besser gemacht habe. Karissa Bell von endgadget sieht das kritischer: Bei testweisen Umstellungen des Algorithmus ginge es nur um die Steigerung des Engagement. Ob sich negative Emotionen oder Misinformation damit abstellen ließen, sei diesem Ziel völlig untergeordnet. Aktuellestes und eindrückliches Beispiel für diese Haltung ist, dass Facebook laut einem AP-Bericht offenbar lieber Zeit schindete, statt Vorschläge zur Eindämmung von Fehlinformationen zur COVID-19-Impfung umzusetzen.

Für alle, die Facebook eher kritisch begleiten, bestätigt das zunächst mal Vermutungen zur Wirkung von Facebooks Algorithmus auf Filterblasen und das Erstarken der neuen Rechten, die auch wir seit 2015 beobachtet und analysiert haben. Neu daran ist der Beleg, dass dies Facebook bekannt ist, intern diskutiert wurde und für das Unternhemenshandeln letztlich keine Rolle spielt. Neue politische Brisanz liegt zudem in dem Umstand, dass einige Dokumente Facebook-Chef Zuckerberg der wissentlichen Falschaussage überführen könnten - auch bei Aussagen unter Eid. 

Schädigt Instagram die jugendliche Psyche?

Die größte Welle hat bisher eine interne Studie ausgelöst, die einen schädlichen Effekt der Instagram-Nutzung bei Jugendlichen (vor allem bei Mädchen) belegt habe und durch die Facebook-Führung bewusst ignoriert worden sei. Laut Wall Street Journal, das die relevanten Facebook Papers ausgewertet hat, hätten 32 Prozent der befragten Teenagerinnen angegeben, sich durch Instagram noch schlechter zu fühlen, wenn sie sich bereits davor wegen ihres Körpers unwohl fühlten. Nicht diese bereits bekannten Ergebnisse, sondern erst die Welle medialer Berichterstattung hat dazu geführt, dass der Facebook-Konzern den Zeitplan für sein Projekt Instagram Kids (einer Version für Kinder unter 13 Jahren) ausgesetzt hat.

Wissenschaftlich gesehen sei die Substanz dieser Studie laut Simon Hurtz von der Süddeutschen eher dünn: Es würden nur Korrelationen festgestellt, Kausalitäten würde die Studie nicht nachweisen. Aussagen zu Selbstmordabsichten würden sich auf Fallzahlen jenseits statistischer Signifikanz stützen. Dieser Einschätzung steht gegenüber, dass die interne Studie letztlich nur Erkenntnisse einer ähnlich angelegten Untersuchung der britischen Royal Society for Public Health aus dem Jahr 2017 nachvollzog, die durchaus Kausalitäten belegt. Etwa, dass steigende Nutzung von Social Media mit der häufigeren Nennung von Depressionen und Angstzuständen einhergeht. Diese Studie untersuchte neben Instagram auch die Nutzung von Facebook, Snapchat, Twitter und YouTube und bescheinigte Instagram den in Summe negativsten Effekt auf die mentale Gesundheit junger Menschen.

Ist Facebook besser?

In der Studie schnitt der Facebook-Dienst bezogen auf die mentale Gesundheit von Jugendlichen deutlich besser als Instagram ab, auch besser als Snapchat, allerdings schlechter als YouTube oder Twitter. Dazu ist allerdings zu bemerken, dass Facebook bei Jugendlichen kaum noch verbreitet ist. Zu einer differenzierten Bewertung von Facebook kommt allerdings auch eine jüngere Studie der Stanford Universität, die untersucht hat, wie sich Sozialverhalten und Wohlbefinden ehemaliger (auch erwachsener) Facebook-User verändert, wenn diese ihre Facebook-Nutzung aufgeben. Zu den vorteilhafteren Effekten des Facebook-Verzichts dürfte gehören, dass die Ex-User*innen mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen und sich weniger stark polarisierte politische Meinungen bilden. Andereseits werde aber auch mehr Zeit alleine vorm Fernseher verbracht und vor allem: Mit abnehmender Facebook-Nutzung sinke das Faktenwissen zur Nachrichtenlage, wie die Studie mit Quizfragen ermittelte. Die gemessene Verbesserung des subjektiven Wohlbefindens durch den Facebook-Verzicht sei insgesamt als marginal zu bewerten. 

Mein Fazit:

Die Facebook Papers liefern hoffentlich weitere Belege dafür, dass Social Media-Plattformen reguliert und durch Gesetze zu verantwortlichem Handeln gezwungen werden müssen, wie es Sacha Baron Cohen bereits 2019 in einer eindrücklichen Rede forderte. Bedauerlicherweise führten bislang nur Skandale, Anhörungen und die Androhung von Sanktionen zu Verbesserungen. Verbesserungen, die wir als Agentur bei der Arbeit mit politischen Botschaften deutlich spüren, und die hoffentlich auch denjenigen das Handwerk legen, die nicht an einer informierten Debatte, sondern an der Spaltung der Gesellschaft und der Delegitimierung ihrer demokratischen Institutionen arbeiten. Trotzdem: Beim Einsatz von Werbemitteln werden wir wie bisher daran erinnern, wen man da unterstützt. Unter den Vorzeichen kann man weiter mit dem Facebook-Dienst arbeiten. 

Wirklich kritisch zu bewerten ist die Nutzung von Instagram in der Kommunikation mit Zielgruppen unter 16 Jahren. Selbst wenn man mit dem eigenen Content am Bild einer Welt voll Schönheit und Wellness nicht mitmalt, will man doch nicht zur Nutzung eines Mediums motivieren, das seine Nutzerinnen nachweisbar schädigt. 
 

Was sind die Alternativen?

Snapchat schneidet in Untersuchungen kaum besser ab, YouTube ist vom Format doch etwas anderes, Verzicht auf Social Media leider keine Lösung. Bleibt TikTok. Auch hier gibt es berechtigte Vermutungen, dass die Passivität, zu der der Videowasserfall mit Suchtpotenzial einlädt, nicht unbedingt das Selbstwertgefühl steigert. Auch scheint TikTok psychologische Gefährdungen laut einer Anhörung im US-Senat nicht ganz im Griff zu haben. Auch wenn der vom chinesischen Technologieunternehmen ByteDance betriebene Dienst mit psychologischen Themen etwas proaktiver umzugehen scheint (z.B. beim Thema Suizidgedanken) als der amerikanische Meta-Konzern. TikTok und Snapchat wurden nun im Zug der Facebook Papers von Abgeordneten des US-Kongress aufgefordert, vergleichbare interne Studien zur mentalen Gefährdung ihrer Nutzer*innen zu erstellen. Bald wird hoffentlich eine konkretere Bewertung möglich sein.