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Europa hat gewählt und damit sind die Europawahlen 2024 entschieden. Im Wahlkampf haben wir uns bereits eingehend mit den Wahlprogrammen der Parteien auseinandergesetzt. Nun wollten wir wissen, wie sich die Teilnehmenden des Wahltest zu den Fragen positioniert haben.

Inwiefern stimmen die ausgewählten Fragen im Wahltest mit den Ansichten der einzelnen Wähler*innen überein? In unserer Tabelle ergeben sich in Summe Übereinstimmungen von mehr als 100%, da die Antworten je nach Thema auch Übereinstimmungen mit mehr als einer Partei ergeben können.

Zunächst auffällig ist dabei das Abschneiden des Bündnis Sahra Wagenknecht im Wahltest. Verwunderlich ist es jedoch nicht. Zu vielen Fragen des Wahltest gab es von der Partei keine Position, weder im Programm noch als Beschluss oder Pressestatement, sodass sich daher weniger Übereinstimmungen mit den Nutzer*innen des Wahltest ergeben konnten (anders als andere Voting Advice Applications holen wir uns beim Wahltest bei fehlenden Positionierungen keine Statements ein, weil wir diese für zu unverbindlich halten).

Bei der Auswahl der Themen haben wir uns, wie bei jedem unserer Wahltests an den Ergebnissen zu aktuellen Umfragen der wichtigsten gesellschaftlichen Themen orientiert. Diese gehen für die Europawahl aus der Umfrage des Standard Eurobarometer 100 – Autumn 100 hervor. Nach diesen haben wir die Wahlprogramme auf konkrete und unterscheidbare Aussagen untersucht. Dabei bevorzugen wir jene Themen, zu denen sich alle oder fast alle Parteien in ihren Wahlprogrammen äußern. Die beiden zentralsten Anliegen waren laut Umfragen die Themenbereiche Einwanderung und der Ukrainekrieg. Absteigend nach Relevanz in den Umfrageergebnissen sind die Themen im Folgenden aufgelistet.

Es sei angemerkt, dass die Ergebnisse des Wahltest nicht repräsentativ sind. Die Antworten im Wahltest werden anonym gespeichert, sodass wir demographische Daten nicht ermitteln können. Uns ist es somit nicht möglich sicherzustellen, dass die Nutzer*innen des Wahltest eine breite Bevölkerungsgruppe abdecken. Besucher*innen sind vor allem durch Mund-zu-Mund Propaganda auf uns aufmerksam geworden. Viel Zulauf kam dabei durch das Teilen von Ergebnissen auf Social Media. Auch dadurch können Verzerrungen entstanden sein, indem Anhänger*innen einer Partei Gleichgesinnte auf den Wahltest aufmerksam gemacht haben. Da die meisten Teilnehmer*innen alle Fragen beantwortet haben, sind die Antworten jedoch innerhalb des Samples vergleichbar, was ermöglicht relative Präferenzen in Bezug auf einzeln Themen, Fragestellungen und Antwortoptionen zu ermitteln.

Themenbereich Einwanderung

Beim Thema Einwanderung ist unser Teilnehmer*innen-Sample auffällig näher an rechten Positionen als bei anderen Themen. Die konträren Positionen dazu, ob zivile Seenotrettung unterstützt werden sollte oder nicht, halten sich im Wahltest fast die Waage. Wie ein Grenzschutz gestaltet werden soll, beruht in jeder Option auf Frontex, allerdings mit divergierenden Ansichten dazu, wie die Arbeit von Frontex ausgestaltet werden soll. 52% der Teilnehmenden geben an, dass Asylanträge in sichere und dazu bereite Drittstaaten ausgelagert werden und teilen damit die Angaben der CDU/CSU, des Bündnis Sahra Wagenknecht und der AfD. Bei den Binnengrenzen im Schengen-Raum lässt sich feststellen, dass lediglich 19% der Befragten für die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen im Schengen-Raum ist. Man könnte aber auch feststellen dass nur 24% dauerhafte Kontrollen an den Binnengrenzen befürworten. Hier zeigt sich deutlich das Dilemma, wenn man die Frage nur mit ja oder nein statt mit abgestuften Optionen beantworten kann.

Themenbereich Ukrainekrieg

Die Mehrheit (66%) spricht sich für eine gemeinsame Exportpolitik, davon sogar 42% auch für eine gemeinsame Beschaffung aus. Auch werden die Sanktionen für Russland befürwortet, etwa ein Drittel möchte diese ausweiten. Allerdings sprechen sich 66% der Nutzer*innen gegen die Beitrittsverhandlungen der Ukraine mit der EU zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus (einen generellen Ausschluss hat keine Partei explizit gefordert, selbst nicht die AfD). Eine knappe Mehrheit möchte den Wiederaufbau der Ukraine gemäß den Forderungen der FDP und CDU/CSU mit eingefrorenem russischen Vermögen finanzieren. Die Ergebnisse in Bezug auf EU-Beitritt und die Finanzierung des Aufbaus spiegelt nicht die Positionen der Grünen. Auch wenn diese im Gesamtergebnis des Wahltest die größten Übereinstimmungen mit den Nutzer*innen hatten, sind bei diesem Thema die Übereinstimmungen auffällig niedrig.

Der Themenbereich International

Der Themenbereich International befasst sich mit den Beziehungen zu China, den USA und Afrika. Der Großteil der Befragten möchte die Abhängigkeiten zu den USA und China reduzieren. Doch zu der Frage, inwiefern die jeweiligen Partnerschaften weiter verlaufen sollen, ob intensiver, wie zuvor oder weniger eng, stimmt man wenig miteinander überein. In Bezug auf die Afrika-Politik der EU befürworten die meisten der untersuchten Parteien die Global Gateway Initiative, 60% befürworten Freihandelsabkommen. Um das politische Angebot bei letztgenanntem Thema mit Ja/Nein Antworten abzubilden, hätte man 2-3 Fragen benötigt - was den Test nicht unbedingt leichter bedienbar macht.

Themenbereich Lebenshaltungskosten

Dass die Lebenshaltungskosten in Europa steigen ist keine Neuigkeit. Zu dem Thema hat der Wahltest die Bereiche Tarifbindung, Inflation und Stromnetzausbau abgefragt. Dazu lässt sich feststellen, dass mit klaren Mehrheiten ein europäischer Stromnetzausbau gefordert wird und man eine die Tarifbindung in Europa favorisiert, mit der Absicht höhere Löhne zu ermöglichen. Wie mit steigender Inflation umgegangen werden sollte, ist man sich allerdings weniger einig.

Themenbereich Umwelt

Klimathemen waren im Vergleich zu den Bundestagswahlen 2021 diesmal ein etwas weniger wichtiges Anliegen der Wähler*innen. Ähnlich wie bereits zu den Wahlen 2021 zeigt sich aber auch in dieser Auswertung zum Wahltest, dass tendenziell eine breite Mehrheit unserer Nutzer*innen Maßnahmen zum Klima- und Naturschutz befürwortet und rechte Positionen hier also weniger Anklang finden, als beim Thema Einwanderung. 76% wollen an den bestehenden Kimazielen festhalten, 52% sogar darüber hinausgehen.

Themenbereich Finanzen

EU-Budget und EU-Schulden sind spannende Themen für eine Betrachtung. Zu der Frage, ob die EU weiterhin eigene Schulden aufnehmen können soll, halten sich die Ansichten mit ja und nein so ziemlich die Waage. Ähnlich sieht es mit dem Budget der EU aus. Bei den Ansichten dazu, wie der nächste Finanzrahmen der EU 2027 gestaltet werden soll, machen die Meinungen mehr, weniger oder wie bisher jeweils ein Drittel aus. Ein klassisches Beispiel für eine Interessenlage, die drei Antwortoptionen erfordert.

Themenbereich Energie

Anders als SPD, Grüne und Linke scheinen unsere eindeutig Klimaschutz befürwortenden Teilnehmer*innen zugleich auch die Kernenergie in der ein oder anderen Form zu befürworten. Ob hier die Argumentation aufgeht, dass Kernenergie ja CO2-emissionsfrei sei und damit klimafreundlich, können wir nur spekulieren. Zahlreiche Positionen haben wir zu dem Thema Emissionshandel angeboten und wie mit diesem zukünftig verfahren werden sollte. 70% der Wähler*innen befürworten dabei einen Emissionshandel, aber nur 34% wollen ihn in der ein oder anderen Form ausdehnen.

Themenbereich Sicherheit

Während sich zu den Bundestagswahlen 2021 noch 62% der Teilnehmenden für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland ausgeprochen haben, stimmen in unserem aktuellen Sample nur noch 51% für eine Legalisierung in der EU, woraus man keinen Meinungsumschwung ablesen kann, was aber darauf hindeutet, dass unser Sample konservativer ausfällt als beim Wahltest 2021. Die Frage nach der Entwicklung von Europol hat relativ eindeutige Antworten ergeben. Die meisten Befragten (insg. 78%) sprechen sich für die Stärkung oder sogar den Ausbau der grenzüberschreitenden Strafverfolgung durch Europol aus. Die AfD-Forderung nach der Abschaffung europäischer Instutionen (wie Europol) erfährt hier auffällig wenig Zustimmung.

Themenbereich Arbeitslosigkeit

70% der Befragten sprechen sich für EU-weite Mindeststandards für eine nationale Grundsicherung aus. Dies bestätigt die Positionen von Grünen, Linken und der SPD. Doch werden die Positionen der genannten Parteien weniger eindeutig bei dem Thema der europäischen Arbeitslosenversicherung unterstützt. Lediglich 51% befürworten eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung.

Themenbereich Gesundheit

Auch nach der Corona-Zeit bleiben Gesundheitsthemen und die Beschaffung von Arzneimitteln laut Eurobarometer ein wichtiges Thema mit Handlungsbedarf auf der EU-Ebene. Das zeigt sich auch in den Antworten im Wahltest. Die Mehrheit fordert die Produktion wichtiger Arzneimittel in der EU. Auch gibt es eine eindeutige Haltung zu dem europäischen Gesundheitsdatenraum. Um eine Gesundheitsversorgung zu vereinfachen, sprechen sich 82% der Befragten für das Teilen von Gesundheitsdaten im europäischen Raum aus.

Fazit

Abschließend lässt sich feststellen, dass die Verteilung der Zustimmung zu den Antwortoptionen nicht klar entlang der Linie der Parteien bzw. politischen Lager folgt. Vielmehr scheint es einzelne Themenbereiche zu geben, bei denen unser Sample vergleichsweise stark in die eine oder andere Richtung schwankt. Während migrationsfeindliche Positionen viel Zustimmung erfahren, scheint die EU-kritische Haltung der "Rechten" kaum zu verfangen. Auch bei Umwelt-, Sicherheits- und Gesundheitsfragen befürworten breite Mehrheiten die getroffenen und viele der darüber hinaus geplanten, gemeinsamen Vorhaben auf der EU Ebene und damit tendenziell eher "linke" Positionen. Bei Maßnahmen, die Auswirkungen auf Lebenshaltungskosten haben, fällt die Zustimmung allerdings eher knapp und lauwarm aus.

Vergleicht man die Wahltest-Ergebnisse mit den Ergebnissen zur Bundestagswahl 2021 haben Grüne, Linke, CDU und AfD mit ihrer Programmatik in etwa ähnlich gut abgeschnitten wie 2021. Sie haben zwischen 0 und 3 Prozentpunkte abgegeben, was sich mit dem Umstand erklären lässt, dass sich die Übereinstimmungen hier auf sieben statt zuvor auf sechs Parteien verteilen. Auffällig schlechter schneiden dagegen SPD und FDP ab, deren Programmatik 8% bzw. 10% weniger Übereinstimmung erzielen konnte als 2021, was sich angesichts der Anonymisierung der Positionen nicht alleine mit der gesunkenen Glaubwürdigkeit von Forderungen als Parteien in Regierungsverantwortung erklären lässt, vielleicht aber mit einer - anders als bei den Grünen - in der Regierungsverantwortung gesunkenen Fähigkeit mehrheitsfähige Forderungen aufzustellen.

Aber Programmatik ist ja auch nur ein Teil der Kunst Wahlen zu gewinnen. Ich empfehle in dem Zusammenhang diese Analyse des EU-Plakatwahlkampfs.