Ein kleiner Twitter-Vogel steht einem großen Mastodon gegenüber. Die Bildaufschrift: Ist Mastodon das neue Twitter?

Seit der 44 Milliarden Euro schweren Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter durch den Tesla-Milliardär Elon Musk ist die Welt der sozialen Netzwerke in Aufruhr. Insbesondere in der politischen Community hat eine regelrechte Absatzbewegung von Twitter weg stattgefunden. Als aussichtsreichste Alternative zu Twitter sticht besonders eine Plattform hervor: Mastodon. Wir haben uns Mastodon angeschaut: Wie funktioniert das Netzwerk, für wen lohnt sich der Umzug und was ist nötig, um auf Mastodon aktiv zu werden?

Twitters Untergang?

Als erste Amtshandlung entließ der neue Twitter-Chef rund die Hälfte der insgesamt 7500 Mitarbeiter*innen. Ein Großteil der verbleibenden Arbeitnehmer*innen entschieden sich in den darauffolgenden Wochen dafür, Twitter zu verlassen. Auch 4.400 freie Mitarbeiter*innen wurden entlassen.

Seit der Übernahme von Twitter durch Musk befürchten Nutzer*innen, dass der selbsterklärte „Absolutist der Redefreiheit“ Twitter zu einem Hort der Hassrede, der gruppenbezogenenen Menschenfeindlichkeit und der fake news macht. Die Befürchtungen scheinen nicht unbegründet. Die Massenentlassungen haben weitreichende Folgen: Mehr und mehr Fehler treten auf, Beschwerden über Hassrede, Falschinformationen und beleidigende Tweets haben sich um die Hälfte erhöht. Denn von den Massenentlassungen betroffen waren auch jene Mitarbeiter*innen, die sich um die Algorithmen kümmern, die alle Tweets auf Hassrede, Falschinformation oder Kinderpornografie überprüfen. Zudem entsperrte Musk zahlreiche gesperrte Profile – darunter Donald Trump und Jordan B. Peterson. Diese waren zuvor wegen Verstößen gegen die Twitter-Richtlinien gesperrt worden.

Schätzungen zufolge hat Twitter bereits über eine Million Nutzer*innen verloren (Stand 3. November), auch große Werbepartner wie Audi, General Motors und Volkswagen haben sich vorübergehend von Twitter verabschiedet.

Gewinner: ein Open Source-Projekt?

Derzeitiger Gewinner dieses Crashkurses scheint das Open Source-Projekt Mastodon zu sein. Während Mastodon am 7. November eine Million aktive Nutzer*innen hatte, waren es am 19. November bereits zwei Millionen. Viele Wissenschaftler*innen wechseln auf Mastodon. Und auch öffentliche Institutionen wie das Bundespresseamt, die KfW Bankengruppe oder der Zoll sind bereits auf Mastodon aktiv.

Der Hype um Mastodon ist berechtigt – auch wenn Twitter vorerst ein wichtiger Faktor bleiben wird.

Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf die Plattform zu werfen.


Masto… was?

Namensgeber sind die früher Mastodonten genannten, urzeitlichen Elefanten. Tweets heißen Toots (dt. Tröts), Beiträge werden „gesternt“ und nicht "geliked" und "geboostet" und nicht "geteilt". Auch im Kern unterscheidet sich Mastodon von kommerziellen Plattformen wie Twitter: statt Profitlogik und geheimen Algorithmen verspricht Mastodon Open Source und Macht für alle Nutzer*innen.

2016 gegründet von dem deutschen Software-Entwickler Eugen Rochko funktioniert Mastodon als ein föderiertes System. Anstelle von zentral betriebenen Servern, wie beispielsweise bei Facebook oder Twitter, kann bei Mastodon jede*r mithilfe einer Open Source-Software einen eigenen Server – die sogenannte Instanz - betreiben. Oftmals finanzieren die Inhaber*innen ihre Instanzen über Spenden.

Mastodon ist Teil des sogenannten Fediverse. Das ist ein Wortspiel aus Federation und Universe und bezeichnet nicht-kommerzielle soziale Netzwerke, die das Protokoll ActivityPub unterstützen. Neben Mastodon gehören Dienste wie Peertube (Youtube-Alternative), Pixelfed (Instagram-Alternative) oder Diaspora (Facebook-Alternative) dazu. Nutzer*innen können über die Plattformen des Fediverse hinweg miteinander interagieren und Inhalte teilen, solange ihre Instanzen auffindbar sind.

How to get started

Um mit Mastodon starten zu können, muss man sich zunächst eine Instanz aussuchen. Es gibt keine vollständige Übersicht über alle verfügbaren Instanzen. Die meisten Server lassen sich jedoch in Server-Datenbanken finden. Masto.dir listet beispielsweise deutschsprachige Instanzen, die gemeinwohlorientiert arbeiten. Anhaltspunkte für die Wahl können die inhaltliche Ausrichtung der Instanz und ihre Moderationsregeln sein. Denn die Betreiber*innen der Instanzen sind verantwortlich für die Moderation und geben sich jeweils eigene Regeln.

Auch mobil ist Mastodon natürlich nutzbar. Anstelle der offiziellen Mastodon-App empfehlen erfahrene Nutzer*innen jedoch häufig die App „Metatext“.

Im Unterschied zu Twitter gibt es keine globale Suche über die gesamte Plattform hinweg. Man findet erstmal Personen, die auf demselben Server aktiv sind. Um Personen über Instanzen hinweg suchen zu können, benötigt man deren exakte Adresse (also das, was auf Twitter das Handle ist). Nutzer*innen können selbst entscheiden, ob sie mit Nutzer*innen auf anderen Instanzen in Austausch treten oder den Inhalt von bestimmten Servern komplett blockieren.

Eine weitere Besonderheit: Eigenständiger Content wird bevorzugt – eine Quote-Funktion ist nicht möglich. Außerdem gibt es auf Mastodon keinen Algorithmus, der die Reihenfolge von Beiträgen im Newsfeed bestimmt – Beiträge werden immer chronologisch angezeigt.

Ob Werbung zur Refinanzierung seiner Aufwände eingeblendet wird, ist bei Mastodon dem Betreiber überlassen. Die wenigsten machen davon Gebrauch, Mastodon ist damit derzeit praktisch werbefrei. 

 

Mastodon: das neue Twitter?

Derzeit besteht Mastodon aus 11.433 Instanzen und 2.439.391 aktiven Nutzer*innen im letzten Monat (Stand: 8. Dezember 2022) – und die Zahl ist weiter steigend. Das ist erfreulich, denn als Open Source- und Non Profit-Projekt ist Mastodon gerade für progressive Akteure unterstützenswert.  Der Vergleich zeigt jedoch, dass trotz der enormen Wachstumsdynamik von Mastodon Twitter weiterhin der Platzhirsch ist. Laut eigenen Angaben hat Twitter eine Nutzerbasis von 238 Millionen aktiven User*innen. Ein Bericht des NewScientist zeigt, dass nur ein Bruchteil derer, die angekündigt haben, zu Mastodon zu wechseln, Twitter tatsächlich endgültig verlassen haben.

Verlaufsdiagramm 07.10.2022 - 07.11.2022 Tägliches Wachtum an Twitter- und Mastodon-User*innen: Mastodon wächst langsamer als Twitter, holt jedoch auf.

Tägliches Wachtum an Twitter- und Mastodon-User*innen: Mastodon wächst langsamer als Twitter, holt jedoch auf. Quelle: Esteban Moro (@estebanmoro@mastodon.social)

Gerade für Journalist*innen und diejenigen, die das Nachrichtengeschehen in (nahezu) Echtzeit verfolgen möchten, ist Twitter aufgrund seiner riesigen Nutzerbasis und schnellen Reaktionen weiterhin unverzichtbar.

Ein Wechsel aller User*innen zu Mastodon wäre so derzeit auch gar nicht machbar – zumindest nicht auf einen Schlag. Denn viele Instanzen haben bereits Aufnahmestopps verhängt, da der Ansturm zu groß ist. Dadurch, dass Mastodon auf das Engagement der Instanzen-Inhaber*innen angewiesen ist, die die Instanzen aus eigener Tasche finanzieren, sind die Kapazitäten begrenzt.


Wie gelingt der Ein- und Umstieg?

Auch wenn Mastodon nicht das neue Twitter ist und ein finaler Umzug zu Mastodon derzeit für die wenigsten Privatpersonen und zivilgesellschaftlichen Organisationen eine Option ist: Das Projekt ist unterstützenswert, die Dynamik bleibt rasant und Open Source-Alternativen zu Internetriesen wie Twitter werden dringend gebraucht.

Für den Anfang ist es empfehlenswert, sich einen Account auf Mastodon einzurichten und Twitter-Content dort zweitzuverwerten. Dazu gibt es auch sogenannte Crossposting Bots, die auf Twitter veröffentlichte Inhalte automatisch auf Mastodon teilen (oder umgekehrt). Mithilfe des Tools "Movetodon" lässt sich einfach herausfinden, wer von den Personen, denen man auf Twitter folgt, bereits auf Mastodon aktiv ist.

Gewerkschaften oder ähnliche größere zivilgesellschaftliche Netzwerke können auch größer denken: Für sie bietet es sich an, eigene Instanzen zu betreiben. So können sie ihren Mitgliedern den Einstieg in Mastodon ermöglichen, Gleichgesinnte sammeln und mit Interessierten interagieren.

Um einen Server einzurichten braucht es nicht viel: Eine Domain, einen Webserver, einen Maildienst (wir empfehlen nicht, einen eigenen Mailserver zu betreiben) und ggf. zusätzlichen Speicherplatz. Die monalichen Kosten beginnen im mittleren zweistelligen Bereich.

Fazit

Der Hype um Mastodon ist berechtigt – auch wenn Twitter vorerst ein wichtiger Faktor bleiben wird. Die Plattform ist ein relevantes Projekt für all diejenigen, die ihren Content verbreiten und dabei nicht-kommerzielle Räume im Netz unterstützen und stärken wollen. Interesse bekommen? Gerne beraten wir Sie weitergehend und unterstützen Sie bei Einrichtung eines eigenen Servers.